Statistische Mechanik
Die traditionelle Wissenschaft versagt in der Regel, wenn sie mit komplexen Systemen konfrontiert wird. Die klassische Sichtweise der statistischen Physik und der Thermodynamik beispielsweise behauptet, dass sie auf komplexe Systeme nicht anwendbar sind. Wir glauben, dass dies nicht das Ende einer Entwicklung ist, sondern dass Paradigmen und Werkzeuge aus diesen Bereichen für ein grundlegendes Verständnis von komplexen Systemen genutzt werden können.
Wir greifen die Frage nach der Natur der „Information“ in wechselwirkenden oder korrelierten Systemen wieder auf, wo die traditionelle Boltzmann-Gibbs-Shannon-Entropie ihre Bedeutung verliert. Wir entwerfen konstruktiv eine Entropie aus thermodynamischen Prinzipien, die für korrelierte Systeme funktioniert, und zeigen, dass eine „Thermodynamik für CSs“ durchaus sinnvoll ist.
Unser Ansatz ist sehr universell und umfasst klassische einfache Systeme (Boltzmann-Gibbs-Systeme) und solche, die durch Leistungsgesetze (Tsallis-Systeme) gekennzeichnet sind, als Spezialfälle. Unser Ansatz lässt sich auf praktisch alle in der Natur beobachteten charakteristischen Verteilungsfunktionen anwenden. Unsere Forschungsaktivitäten umfassen Arbeiten über:
- Entropien für komplexe Systeme
- Thermodynamik von komplexen Systemen
- Stabilität von komplexen Systemen
- Superstatistik
Netzwerktheorie
Viele komplexe Systeme setzen sich aus Elementen zusammen, deren Interaktionen durch Netzwerke gegeben sind. Beispiele sind: genetische Netzwerke, metabolische Netzwerke, soziale Kommunikations-Netzwerke, Handels-Netzwerke, Bank-Netzwerke, das World Wide Web und Produktions-Netzwerke in der Wirtschaft etc. Die Struktur von Netzwerken ist oft mit ihrer Funktion verbunden. Wir untersuchen empirisch die Struktur (Topologie) von Netzwerken in der realen Welt.
Viele Prozesse finden nicht in Raum und Zeit statt, sondern auf Netzwerken und in der Zeit – die klassische Sicht auf den Raum wird auf die Topologien von Netzwerken reduziert. Wir untersuchen und modellieren dynamische Prozesse auf Netzwerken und leiten daraus Konsequenzen für Effizienz, Stabilität, Anpassungsfähigkeit etc. ab. Beispiele sind genetische Netzwerke, Kredit-Netzwerke oder Netzwerke von Finanzströmen innerhalb einer Wirtschaft.
Viele Netzwerke sind nicht statisch, sondern entwickeln sich im Laufe der Zeit weiter. Oftmals beeinflussen die Eigenschaften der Knoten eines Netzwerks (Zustände) die Dynamik der Neuverknüpfung und folglich die entstehenden Netzwerk-Eigenschaften. Wir entwerfen und untersuchen Modelle, in denen Netzwerke die Zustände der Knoten beeinflussen, und in denen die Zustände der Knoten die Konnektivität der Netzwerke beeinflussen. Diese ko-evolvierenden Netzwerke werden z. B. für Wählerdynamik, strategisches Marketing, Kommunikations-Netzwerke oder Meinungsverbreitungsmodelle verwendet.
Die Struktur eines Netzwerks bestimmt einen großen Teil ihrer Leistung/Effizienz, die Funktion bestimmt einen großen Teil der Struktur. Wir versuchen, diese gegenseitigen Einflüsse zu verstehen und praktische Konsequenzen abzuleiten. Wir entwickeln eine statistische Mechanik von und für Netzwerke.
Systemisches Risiko
Wie die Finanzkrise von 2008–2010 gezeigt hat, verstehen wir weder das Systemrisiko, d. h. das Risiko des Zusammenbruchs von großen komplexen Systemen, noch wissen wir, wie wir damit umgehen sollen. Wir versuchen, die Voraussetzungen zu verstehen, unter denen ein Zusammenbruch von komplexen Systemen möglich und wahrscheinlich wird. Die hier verwendeten Methoden umfassen Netzwerk-Theorie, Synchronisationsdynamik auf Netzwerken, Kombinatorik, agentenbasierte Modelle, Spieltheorie und nichtlineare Dynamik.
Für Evolutionssysteme konnten wir zeigen, dass sie alle kritische Punkte haben, an denen sich die Wahrscheinlichkeit eines Systemzusammenbruchs dem Wert eins nähert, d. h. ein Zusammenbruch fast sicher wird. Mit anderen Worten: Evolutionssysteme tragen den Keim für ihren Zusammenbruch in sich. Als Alternative zum Management des Systemrisikos schlagen wir vor, diese kritischen Punkte in realen komplexen Systemen, wie z. B. ökologischen, finanziellen und sozialen Systemen, zu identifizieren.
Physik der Evolution
Wir streben eine konsistente mathematische Formulierung von Evolutionssystemen als Systeme mit koevolutiven Randbedingungen an. Solche Systeme sind mit der traditionellen Mathematik nicht behandelbar. Wir weichen vom klassischen darwinistischen Denken ab, indem wir Fitnesslandschaften als ko-evolvierende Strukturen interpretieren. Wir konnten zeigen, dass Evolutionssysteme eine Phasenstruktur haben, d. h. dass ein und dasselbe System in verschiedenen Modi oder Phasen existieren kann: Sie können sich in einem Modus ständig zunehmender Vielfalt oder in einem dumpfen Modus nahezu stationärer Niveaus geringer Vielfalt befinden. Die Übergänge von einer Phase zur anderen sind mit einem Boom oder einem Absturz der Vielfalt verbunden.
Die Auswirkungen dieser Arbeit beschränken sich nicht auf die biologische Evolution, sondern gelten auch für technologische Innovation, Wirtschaft, theoretische Chemie und viele andere Prozesse in der lebenden, sozialen und physischen Welt. Insbesondere bemühen wir uns, die Wirtschaft in einem evolutionären Rahmen zu formulieren. Damit sind wir in der Lage, Schlüsselelemente der Schumpeterschen Ökonomie, wie z. B. Zerstörungsstürme und kreative Zerstörung, zu verstehen und zu quantifizieren.