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In Memoriam

Prof. Dr. F.X. Wohlzogen

Prof. Dr. F.X. Wohlzogen, Emeritus am Institut für Medizinische Statistik der Universität Wien, verstarb am 2. Juli 1995 im 77. Lebensjahr nach kurzem schwerem Leiden.

Er wurde im Jahre 1919 als einziges Kind der Wilhelmine Wohlzogen und des Konskriptionskommissars Franz Wohlzogen in Wien geboren. Nach der Volksschule legte er am traditionsreichen Theresianum im Jahre 1937 seine Reifeprüfung ab und studierte darauf an der Universität Wien Medizin, wo er im Jahr 1942 zum Doktor der gesamten Heilkunde promovierte. Was ich aus gelegentlichen Bemerkungen seinerseits entnehmen konnte, war er ein äusserst begabter Schüler, der sich jedoch schon früh durch sehr individuelle Vorstellungen und Ziele auszeichnete.

Es blieb ihm nicht erspart, unmittelbar nach seinem Studium als Truppenarzt auf dem Balkan mit der grauenvollen Realität des Krieges konfrontiert zu werden. Diese Erlebnis als ganz junger Mediziner hat ihn für sein weiteres Leben tief geprägt.

Nach dem Krieg begann er als wissenschaftlicher Assistent im Bereich der Physiologie seine wissenschaftliche Karriere. Die langjährige wissenschaftliche Tätigkeit in Wien war unterbrochen von längeren, durch Stipendien geförderte Aufenthalte im Department für Physiologie des St. Mary's Hospital der Medical School of London. Hier erfuhr er seine Bekehrung für das Fach Medizinische Statistik. Wenn man versucht, die verschiedenen Aussagen zu dieser so wichtigen Weichenstellung auf einen Punkt zu bringen, so war es die Kritik eines berühmten Wissenschaftlers anlässlich einer Tagung der Physiological Society, die den entscheidenden Anstoss brachte. Der Kritiker äusserte Lob über die Arbeit des Vortragenden, empfahl jedoch, dass er sich etwas mehr mit Statistik befassen sollte. Dies hat F.X.Wohlzogen in der Folge bis zu seinem Lebensende getan, wobei er jedoch noch lange Zeit vor allem in der Endokrinologie weiter sein medizinisch-wissenschaftliches Standbein hatte.

Im Jahr 1969 wurde er zum Professor für Medizinische Statistik und Dokumentation ernannt, er hatte jedoch schon viele Jahre vorher in der Fakultät die Ausbildung und Beratung in statistischen Fragen übernommen. Nach 15 Jahren als Vorstand des Instituts ging er 1986 in den Ruhestand.

Die wissenschaftliche Tätigkeit F.X. Wohlzogens ist geprägt durch seinen pionierhaften Beitrag zur Entwicklung der Medizinischen Statistik in Österreich und über die Grenzen des Landes hinaus.

Wir haben Unterlagen bis ins Jahr 1953 zurück. Aus der Abb. 1 erkennt man den ganz typischen Stil, wie er für die statistischen Berechnungen in der Frühzeit mehr oder weniger von Hand von F.X. in grosser Klarheit und Perfektion gepflegt wurde. Man beachte die angewandte Methodik der Probitanalyse, mit einem Test auf Linearität und Parallelität in einem Bioassay, die auch heute noch nachvollziehbare Dokumentation der Schritte, immer mit Datum versehen.

Über seine intensive Befassung mit Alles-oder-Nichts-Reaktionen kam er sehr bald auf die Frage der Sequentialanalyse, da er schon damals erkannte, dass die Einsparung von Versuchseinheiten, etwa Versuchstieren, eine grundlegende ethische Forderung an die medizinische Statistik darstellt. In Arbeiten bis zurück zum Jahre 1954 hat er bereits Gruppierungspläne vorgeschlagen, die in einer Erweiterung des ursprünglichen Konzepts des kontinuierlichen Testens nach jedem Individuum von A. Wald einen wesentlichen Schritt in Richtung Praktikabilität bedeuteten. In Abb. 2 ist ein Beispiel für seine vielen Beiträge in der ROeS in Form der ersten Zeilen seines Manuskripts für die Tagung in Vaduz wiedergegeben, in dem er über ausführliche Computerberechnungen der statistischen Eigenschaften von sequentiellen Testplänen berichtet, auch ein Zeugnis für die frühe Zusammenarbeit mit seinem langjährigen Begleiter V.Scheiber. Es muss hervorgehoben werden, dass er gegen Ende seiner wissenschaftlichen Tätigkeit massgeblich an komplexen Projekten als Autor beteiligt war, in denen z. B. Modelle mit verteilten Hazards angewandt wurden. Diese Forschungsarbeiten waren Resultat einer langjährigen Mitarbeit in einer Arbeitsgruppe von Wissenschaftlern verschiedener Ausbildung zur Frage der Kariesprophylaxe durch Fluoride, die zu einer der kreativsten und schönsten für ihn und das Institut werden sollte. Die Methodik ist einige Zeit später unter dem Begriff der Frailty-Modelle von verschiedenen Seiten ins Bewusstsein der Biometriker gebracht worden. Überhaupt war sein breites Forschungsspektrum durch ein ausserordentliches innovatives Potential gekennzeichnet. So waren schon anfangs der Siebzigerjahre entscheidungstheoretische Verfahren unter Verwendung von Kostenfunktionen Gegenstand von Forschungsprojekten am Institut, lange bevor diese Methodik als "modern" galt.

F.X. Wohlzogens Auffassung vom Fach war stets wesentlich dadurch ausgezeichnet, dass er die statistische Methodik nie als Selbstzweck sah, sondern nur als Mittel zum Zweck verbesserter medizinischer Forschung. Er hatte die Eigenschaft zum Eingehen vertretbarer Kompromisse, die er dann auch standfest gegenüber Dritten vertrat. Schon in den Sechzigerjahren hatte er kontrollierte Studien mit interessanten Designs etwa zu Kombinationstherapien geplant und ausgewertet, wobei ihn sein wirklich fundamentales medizinisches Wissen und seine soziale Kompetenz bei der Zusammenarbeit mit Anwendern auszeichnete.

Sein Arbeitsstil war akribisch genau, seine Arbeitszeit, gesteuert meist durch Interesse, aber bisweilen auch durch Termindruck, aufopfernd und unkonventionell.

Ich muss gestehen, dass es viele gerade dieser Eigenschaften sind, von denen ich als einer der mit ihm mehr als 15 Jahre zusammengearbeitet hat, noch heute profitiere. Der präzisen Art seiner Vorstellung von der Aufgabe der Biometrie, der präzisen Art, statistische Probleme zu formulieren und zu behandeln und seiner akribischen Art, diese auch in einfacher, treffender und manchmal auch sehr eigenwilligen Form niederzuschreiben (alles getragen von höchster Intelligenz), stand seine Bescheidenheit in vielen äusserlichen Dingen, sein positiver Zugang auf die Menschen, seine wohlwollende Unterstützung für Kollegen und Mitmenschen sowie seine Fähigkeit, Feste zu feiern, gegenüber. Und dies, obwohl er schwerste Schicksalsschläge durch das Leben erfuhr, den frühen Tod seines Sohnes, seiner Tochter sowie seiner Gattin und getreuen Gefährtin Elisabeth und vieles andere mehr.

Wenn ich an F.X. Wohlzogen denke, so steht für mich persönlich jedoch über allem jene starke Individualität und jener Rest von Unangepasstheit, die ihn trotz aller Konzilianz mit den Zwängen der Umgebung an einer Universität doch an vielen grundsätzlichen Dingen festhalten liess, von denen er fest überzeugt war. Es besteht die Gefahr, dass solche Charaktermerkmale in der nachpionierhaften Phase mit ihren neuen Zielen und Bräuchen zunehmend verloren gehen.

Wir haben mit F.X. Wohlzogen nicht nur einen grossen Wissenschaftler und Pionier, sondern auch einen grossen Lehrer, Kollegen, Freund und vor allem Menschen verloren.

Peter Bauer, Köln